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Isengart und Baumbart: Über Bäume und Türme

Von Ben Schneider
 
In der Sage um den Ring gibt es einige sehr interessante Fälle, in denen die Akteure aus misslichen Situationen fliehen: Gollum entkommt den Elben, Gandalf flieht aus dem Turm Orthanc und auch die vier Hobbits kommen ein paar Mal knapp davon – unter anderem, als sie auf den Rücken der Adler den Lavaströmen entkommen. Selten wird jemand einfach so laufengelassen: Gollum von Sauron; Frodo, Sam und Gollum von Faramir; Saruman von den Ents. Als Gollum zum ersten Mal freikommt, wird er anscheinend als Spion im Auftrag des Roten Auges entsandt. Faramir lässt Frodo und Sam frei, weil er sie als Verbündete ansieht – Gollum entlässt er nur widerwillig, nicht ohne Warnungen und wider besseres Wissen. Die Rückkehr ins Auenland bringt uns auch noch einmal nach Orthanc, und wir erfahren, dass Saruman (mit Gríma im Schlepptau) wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.
 
Aber warum?
 
Ein paar Gründe verrät uns Baumbart selbst. Er hasst es, Dinge einzusperren. Zudem glaubt er, Saruman in gewisser Weise eine Lektion erteilt zu haben: „(...) seinen Turm war er nicht so leid wie meine Stimme. Hum!“ Der alte Ent hat dem alten Zauberer anscheinend eine Moralpredigt gehalten und hält ihn für geläutert – oder zumindest für unschädlich gemacht.
 
Gandalf ist davon jedoch nicht ganz überzeugt. Er vermutet, dass nicht einmal Baumbart gegen die Macht von Sarumans Stimme gefeit war. Die Tatsache, dass Baumbart Gandalfs Frage erwartet und hinausgezögert hat und überlegt antwortet, bestätigt Gandalfs Verdacht mehr oder weniger.
 
Natürlich könnten beide Versionen stimmen. Bis zu einem gewissen Grad sind sie das auch. Nachdem sein Stab zerbrochen war, beherrschte Saruman noch immer die Macht der Überzeugung – wenn auch nur noch schwach. Baumbart hat ihn in erster Linie freigelassen, weil es seiner Natur entsprach. Nichtsdestotrotz wurde er beeinflusst. Die Antwort scheint also zu sein: Saruman hat sich selbst befreit. Aber um zu fliehen, musste er nur eine nicht versperrte Tür aufdrücken.
 
Aber hatte Baumbart recht? War Saruman wirklich geläutert oder wenigstens verletzt? Oberflächlich betrachtet scheinen die Antworten offensichtlich: nein und kaum. Aber diese Fragen sind nicht so leicht zu beantworten wie gewohnt. Weder wird Saruman, wie so viele andere, als von Natur aus böse dargestellt. Noch hilft uns Gandalf mit irgendeiner Weisheit, die uns bestätigt, dass das Ganze einfach zu kompliziert für unser Urteilsvermögen ist. Und obwohl Gandalf in dieser Szene nicht an Sarumans Besserung glaubt, war er nach der Zerstörung von Isengart, als er immer und immer wieder an Saruman appellierte, nicht annähernd so pessimistisch.
 
Zwischen Figuren, die meist entweder herzensgut oder von Grund auf verdorben sind, ist Saruman wie Boromir und Denethor ein schwankender Charakter. Diese Widersprüchlichkeit des Zauberers, der einst als „der Weiße“ bekannt war, ist zweifellos besonders interessant. Sie erinnert uns an das sehr menschliche Dilemma, dass es so schwer ist, sich von Stolz und Macht abzuwenden, und gleichzeitig so leicht, sich in den metaphorischen Turm der eigenen Verbitterung zurückzuziehen. Im allgemeineren Sinne wird bereits das Vierte Zeitalter vorweggenommen, in dem die Menschen mit ihren wankelmütigen, unbeständigen Herzen die Herrschaft übernehmen und in dem uns noch mehr moralische Verwirrung und eine noch stärkere Vermischung von Gut und Böse erwarten. Immer öfter werden die Guten den Bösen eine zweite oder auch dritte Chance zur Läuterung geben müssen, wenn auch nur der entfernteste Schimmer einer Hoffnung besteht.
 
Schließlich erfüllt die Freilassung von Saruman und Gríma noch einen Zweck. Sie setzt einen Kontrastpunkt zur Heimkehr der Hobbits. Als die heimkehrenden Hobbits sie im Auenland entdecken, sind sie selbst auf einmal viel stärker und ihre Feinde viel schwächer als noch zu Beginn ihres Abenteuers. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Für die beiden geschwächten Bösewichte gibt es keine Heimkehr, keinen sicheren Ort. Sie werden aus Rohan und dem Auenland verwiesen, dürfen den Orthanc nicht mehr betreten und sind in alle Ewigkeit aus Valinor jenseits der Meere verbannt.
 
 
 
 
 
 
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